„Richtig und falsch“ – so einfach lässt sich der Begriff „Gerüchte“ oft übersetzen. Doch dahinter verbirgt sich meist mehr: Verdrehte Tatsachen, Unwahrheiten, die sich zu Wahrheiten aufschwingen.
Gerüchte säen Zwietracht, führen zu Streit und Konflikten, ja sogar zu erbitterten Feindschaften. Deshalb meiden die meisten Menschen das Gerede. Ratschläge wie „Halte dich von Gerüchten fern“, „Erfinde keine Gerüchte“ oder „Schenk dem Gerede keinen Glauben“ sind weit verbreitet. Doch selbst mit größter Toleranz und Gelassenheit lässt sich der Tratsch im Leben kaum vermeiden. Selbst in der virtuellen Welt von Facebook lauern Gerüchte und führen zu schmerzhaften Konsequenzen. Um dem Gerede zu entfliehen, müsste man sich wohl wie der vietnamesische Dichter Nguyễn Trãi in die Abgeschiedenheit zurückziehen:
„In Bambushütte, unterm Pflaumenbaum verrinnen die Tage,
Kein Gerücht dringt in diesen friedlichen Ort.“
Ein chinesisches Sprichwort besagt: „Weniger über die Welt wissen, bedeutet weniger Kummer; Je mehr Menschen man kennt, desto mehr Gerüchte gibt es.“ Manche versuchen daher, dem Trubel zu entkommen, indem sie auf Nachrichten und Fernsehen verzichten, um ihren Geist zu beruhigen. Je mehr soziale Kontakte man pflegt, desto mehr Angriffsfläche bietet man natürlich für Gerüchte. Besonders deutlich wird dies in Diskussionen.
Zwei fundamentale Kriterien unseres Lebens, die Grundlage jeder Gesellschaft seit Anbeginn der Zeit, sind „richtig“ und „falsch“. Doch was richtig und was falsch ist, beschäftigt die Menschheit seit jeher. Der vietnamesische Dichter Nguyễn Du schrieb: „Richtig und falsch sind ewiges Thema der Natur.“ Person A mag Aussage Z für richtig halten, während Person B sie für falsch erklärt. Was stimmt nun? Im Alltag fehlt oft ein objektiver Maßstab. Bittet man Person C um ein Urteil, wird sie Aussage Z für richtig befinden, wenn sie Person A zustimmt. Ist Aussage Z dann tatsächlich richtig? Stimmt Person C mit Person B überein, ist Aussage Z falsch. Ist Aussage Z dann tatsächlich falsch? Und was, wenn Person C weder mit A noch mit B übereinstimmt?
Ein altes Sprichwort sagt: „Es ist leichter, Eisen in Gold zu verwandeln, als jemanden zu überzeugen, Gerüchte zu ignorieren.“ Eisen in Gold zu verwandeln, ist zwar unmöglich, aber dennoch leichter, als jemanden vom Tratschen abzuhalten. Wie schwer es ist, Gerüchte zu ignorieren, wird hier deutlich. Der Satz klingt zunächst tiefsinnig, birgt aber einen Widerspruch: Jemanden zu ermahnen, Gerüchte zu lassen, bedeutet selbst, sich in Gerüchte zu verstricken! Man gerät in einen Teufelskreis.
So verwirrend Gerüchte auch sein mögen, in der Alltagssprache finden sie eine überraschend positive und menschliche Bedeutung: als Synonym für gesellschaftliche Verpflichtungen. „Gerüchte“ im Sinne von „Muss ich nicht eigentlich…?“ – eine geniale Übersetzung. „Muss“ entspricht dem „Richtig“, dem „Sollen“; „Nicht“ entspricht dem „Falsch“. Die wörtliche Bedeutung trifft den Nagel auf den Kopf. Von „Gerüchten“ zu „Verpflichtungen“ ist es ein erstaunlicher Wandel. Zum Leben gehören soziale Kontakte. In einer auf Etikette bedachten Gesellschaft wie der asiatischen drücken sich diese in Form von Geschenken aus. Hochzeiten, Beerdigungen, Besuche – all diese gesellschaftlichen Anlässe werden mit „Muss ich nicht eigentlich…?“ verbunden. Je größer der Bekanntenkreis, desto mehr solcher Verpflichtungen entstehen. Das Sprichwort „Je mehr Menschen man kennt, desto mehr Gerüchte gibt es“ trifft hier den Nagel auf den Kopf. Die „Gerüchte“ sind in diesem Fall die gesellschaftlichen „Verpflichtungen“.
Während Gerüchte im Leben oft für Verwirrung und Ärger sorgen, bereichern die damit verbundenen gesellschaftlichen Verpflichtungen die Kultur des Miteinanders. Einziger Wermutstropfen: Diese Bereicherung zehrt oft am meist nicht allzu prall gefüllten Geldbeutel.